Leserbrief
Erst gurten, dann Masken – eine kleine Zeitreise

Wir sind im Jahr 1979, wir befinden uns in einem Renault R4. Auf dem Fahrersitz ein Führerscheinneuling, auf dem Beifahrersitz dessen Vater. Während der Sohn den Sicherheitsgurt anlegt möchte der Vater das nicht tun. Seit seinem Herzinfarkt hat er das Gefühl, dass der Gurt zu sehr auf das Herz drückt. Außerdem, so der Vater, könne er sich mit den Händen am Armaturenbrett abstützen.

Sein Sohn möchte ihn aber von der Sicherheitsmaßnahme überzeugen. Er wählt dazu ein vielleicht etwas drastisches Mittel: Bei ca. 20 km/h führt er eine Vollbremsung durch. Zwei Tage hat der Vater danach nicht mit seinem Sohn gesprochen. Danach hat er den Gurt auch in seinem eigenen Auto immer angelegt. Es wurde damals viel diskutiert, ob sich der Autofahrer anschnallen soll oder nicht, ob er sich selbst fesseln soll und was im Falle eines Unfalls passiert, wenn man den Gurt nicht mehr aufmachen kann. Der Fluchtinstinkt des Menschen wehrt sich gegen die „Selbstfesselung“. Viele Kampagnen „Klick -erst gurten, dann starten“ (die älteren erinnern sich vielleicht) und später die Einführung von Strafen, wenn man den Gurt nicht trägt, ändern Schritt für Schritt die Akzeptanz. Hinzu kommen Unfallforschungen, die deutlich aufzeigen, dass der Gurt mehr Sicherheit bringt als er Risiko darstellt.

Diese Forschungen entkräften auch viele Befürchtungen (es wurde z.B. lange debattiert, ob der Gurt für Frauen gefährlich sein könnte, da er über die Brust verläuft) Lange Zeit hatten die Autos nur vorne Gurte, die Kinder konnten auf den Rücksitzen herumturnen. Auch dabei kam es zu teilweise schweren Unfällen, wenn Kinder bei einem Aufprall zwischen den Fahrersitzen und durch die Windschutzscheibe geschleudert wurden. Seit 1993 sind Kindersitze für Kinder unter 12 Jahren und kleiner als 150cm Pflicht auf allen Sitzen mit Sicherheitsgurt. Im Jahr 2015 hat der ADAC ermittelt, dass die Akzeptanz des Sicherheitsgurtes bei etwa 98 Prozent liegt. Die zwei Prozent unangeschnallte Pkw-Insassen haben einen Anteil von 17 Prozent an den bei Verkehrsunfällen getöteten Menschen. Seit Einführung der Gurtpflicht im Jahr 1976 sind 39 Jahre vergangen.

Wir sind zurück im Frühling des Jahres 2020. Eine Mutation eines Virus, gegen das es bisher keine Medikamente und keine Impfung gibt, verbreitet sich als Pandemie weltweit. Es sterben viele Menschen, die mit dem Virus infiziert waren. Es wird diskutiert, ob Mund--Nasen-Bedeckungen einen Schutz darstellen oder ob sie vielleicht sinnlos sind. Nach längeren Debatten, Forschungen und Theorien kommt man in der Wissenschaft und der Politik mehrheitlich zu dem Beschluss, dass so eine Bedeckung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Infektionszahlen verringert. Also mutet man der Bevölkerung das Tragen zu. Viele Menschen fühlen sich in der Atmung eingeschränkt und kämpfen manchmal sogar gegen eine aufsteigende Panik unter der Maske. Das ist verständlich, Luftnot ist für Menschen ja lebensgefährlich. Für die meisten setzt nach einer Weile aber eine gewisse Gewöhnung ein. Man lernt, dass man nicht erstickt, man lernt, dass langsames und gleichmäßiges Atmen besser funktioniert als schnelles „nach Luft schnappen“. Auch Brillenträger kommen Stück für Stück zurecht mit den „Nebelschwaden“, die oft auf den Gläsern entstehen.

Vielleicht werden wir in einigen Jahren abschließend darüber urteilen können, ob die Bedeckung nun tatsächlich sinnvoll oder sinnlos ist/war. Ich halte es mit dem Spruch „Better safe, than sorry“, also „Vorsicht ist besser als Nachsicht“.

Jürgen Büssert

wochenblatt-Redaktion in eigener Sache

Grundsätzlich veröffentlicht das wochenblatt gerne Leserbriefe, um damit die öffentliche Diskussion in einer offenen, demokratischen Gesellschaft zu ermöglichen und zu unterstützen. Leserbriefe sind keine Beiträge der Redaktion: Für den Inhalt der veröffentlichten Zuschriften ist der jeweilige Verfasser verantwortlich. In der Frage der Veröffentlichung und Beurteilung der Zuschriften an die Presse richtet sich die wochenblatt-Redaktion nach allgemein gültigen, objektiven Kriterien: www.wochenklick.de/leserbriefe 

Autor:

wochenblatt - Redaktion aus Eckental

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