Redaktionsgespräch
Martin Speer und Melitta Schön
Wenn ein prominenter Autor, Berater und Aktivist aus Berlin in Heroldsberg über sein aktuelles Buch spricht, wird das natürlich im wochenblatt angekündigt. So wie vor dem vergangenen Freitag, an dem die Kulturfreunde Heroldsberg einen „Lese- und Ideenabend“ mit Martin Speer im Weißen Schloss veranstalteten. Vielleicht noch ein kurzer Nachbericht – dabei könnte man es belassen, weil das Thema – die Zukunft Europas – kein lokales oder regionales ist. Es sei denn, der Akteur deutet schon im Vorfeld an, wie prägend die Kindheit und Jugend in Heroldsberg für sein gesellschaftliches und politisches Engagement war. Dies war ein guter Grund, den Autor zusammen mit Melitta Schön zu einem „Redaktionskaffee“ in den Verlag einzuladen. Denn der Kontakt mit Heroldsbergs Ex-Bürgermeisterin hat schon früh zu seiner späteren erfolgreichen Arbeit beigetragen, wie Martin Speer im Gespräch begeistert erzählt.
Politik ist nicht nur Sache von Politikern
In der vierten Klasse war er im Rahmen des Heimat- und Sachkundeunterrichts erstmals zu Besuch bei der Bürgermeisterin, erinnert sich Melitta Schön. Sie war 1996 neu in das Amt gewählt worden, das sie zwei Wahlperioden lang bekleiden sollte, führte bald eine Kindersprechstunde ein sowie ein Jugendparlament mit Jugendbürgermeistern für den Kernort, Klein- und Großgeschaidt. Der junge Martin war ihr gleich aufgefallen, weil er so interessiert war. „Er ist oft gekommen“, erzählt sie, und hat sich schon damals aktiv eingebracht, als es etwa um die Sichtung der Möglichkeiten für Spielplatzausstattung ging: „Da hat er viel Zeit im Rathaus verbracht“, das damals noch im Weißen Schloss untergebracht war.Der damalige Schüler erinnert sich noch gut an seine damalige Erkenntnis: „Man kann teilhaben“ an dem, was für die Menschen überlegt und entschieden wird, „das hat etwas mit mir gemacht“. Später absolvierte er noch ein einwöchiges Schulpraktikum im Rathaus.
„Inklusives Führen“ durch eine der wenigen Frauen in der Politik
Die Frage, was ihn damals so beeindruckt hat, beantwortet Martin Speer mit einer Lobeshymne auf Melitta Schön: „Ihre Art, Politik zu machen, mit weitem Herz und klarem Verstand“. Die Macht klug zu nutzen für das Zusammenbringen von Personen und Interessen, das Integrieren, das „inklusive Führen“ und Gestalten – das habe ihn schwer und nachhaltig beeindruckt. Und der Umstand, dass Melitta Schön eine der ganz wenigen Frauen war, die in der männerdominierten Politik offensichtlich sehr erfolgreich agierte.
Über Parteigrenzen hinweg
Unter anderem diese Eindrücke beeinflussen seither und bis heute die Arbeit von Martin Speer, inzwischen vor allem gemeinsam mit dem Historiker und Soziologen Vincent-Immanuel Herr als Duo „HERR & SPEER“. Als Aktivist drängt er bei Institutionen auf Geschlechtergerechtigkeit und ein geeintes Europa. Als Autor von Büchern und Pressebeiträgen, unter anderem in ZEIT und SPIEGEL, analysiert er gesellschaftliche und politische Fragen. Als Berater von Organisationen, Unternehmen und den G7-Staaten zeigt er auf, wie diese durch mehr Frauen in Führung vorankommen.
Das Engagement betreibt er von Anfang an über Parteigrenzen hinweg. Neben der freundschaftlichen Beziehung zur SPD-Bürgermeisterin war der Jugendliche zeitweise auch Mitglied der Jungen Union und arbeitete im Wahlkampfteam des Bundestagsabgeordneten Stefan Müller mit.
Die Arbeit von Martin Speer fußt aber auch auf beruflichen Erfahrungen jenseits philosophisch-theoretischer Abgehobenheit. Den ersten Beruf als Industriekaufmann hat er in Heroldsberg bei Schwan-STABILO erlernt, bevor er in den USA und Berlin Wirtschaftswissenschaften studierte und ein Getränkeunternehmen mit gründete. Die Hinwendung zu Kampagnen, journalistischer sowie Autoren- und Beratertätigkeit trägt sich längst auch finanziell, so dass der 37-Jährige nicht mehr auf Nebenjobs angewiesen ist.
Europa emotional und persönlich erleben
Auch zum aktuellen Thema Europa beeindruckten Martin Speer persönliche Erlebnisse, damals mit der Partnerschaft zwischen Heroldsberg und Taio (heute Predaia). Die Bedeutung der europäischen Zusammenarbeit wird noch immer unterschätzt und nicht ausreichend gewürdigt, ist sich der Mitautor von „Europe for Future“ sicher. Eine Europäische Union als lockerer Verbund von „Vaterländern“, wie sie von manchen radikalen Kritikern gefordert wird, wäre möglich – aber für die inner- und außereuropäische Politik katastrophal.Er wirbt dafür, die europäische Identität auf Gefühlsebene erlebbar zu machen und vom Abstrakten auf das persönliche Erfahren zu lenken. Nicht nur durch Projekte wie Gemeindepartnerschaften, sondern zum Beispiel durch ein kostenloses Interrail-Ticket für 18- bis 24-Jährige. Damit könnten sogar die wochenblatt-Kommunen Heroldsberg, Eckental und Kalchreuth vorangehen, so wie es in Monheim am Rhein bereits praktiziert wird. Die Kosten für solch ein regionales Interrail-Kontingent wären überschaubar, die positive Wirkung der Erfahrungen, die die Jugendlichen in bis zu 33 Ländern machen könnten, hingegen unbezahlbar.
95 Thesen, die Europa retten
Bedeutend für unsere Zukunft ist auf jeden Fall, dass man sich jenseits des Tagesgeschäftes die Zeit nimmt, „visionär und kreativ über Europa nachzudenken“. Das haben Herr & Speer gemacht. Ihr Buchtitel verspricht 95 Ideen, die zu einem funktionierenden, gerechten, freien und vereinten Europa beitragen können.Dass sich die Autoren mit einem der hier formulierten 95 Punkte auch einen Spaß erlauben, der nicht bierernst auf Umsetzbarkeit geprüft werden muss, erfährt man auch nur im persönlichen Redaktionsgespräch. Welcher der 95 Punkte dies ist, dürfen die Leserinnen und Leser selbst herausfinden.
Ebenfalls nicht im Buch, sondern am Kaffeetisch sagt Martin Speer, dass auch die „Methode Schön“ auch für das politische Europa förderlich wäre.
Heroldsberg herzlich verbunden
Das freut natürlich Ex-Bürgermeisterin Melitta Schön – und auch die Aussage, dass sich der Wahlberliner Martin Speer seiner Heimat Heroldsberg, in die er im Alter von fünf Jahren kam, herzlich verbunden fühlt. Hier hat er eine „schöne Kindheit und Jugend“ verbracht, bis heute Freunde in der Region und verbringt immer wieder gerne Zeit vor Ort.Ein guter Anlass dazu könnte die Vorstellung eines neuen Buches werden, an dem Herr & Speer derzeit arbeiten. Es befasst sich mit Aussagen, die Männer tätigen, wenn die letzte Frau den Raum verlässt. „Da kommen immer noch erstaunliche Vorurteile zu Tage und sind viele Ängste im Spiel“, berichtet Speer. Das klingt vielversprechend – und wird sicherlich auch im wochenblatt Beachtung finden.
Autor:wochenblatt - Redaktion aus Eckental |
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