Der Gloss'n Hans macht sich Gedanken
Irritierende Narretei
Sie wer’n lachen, aber eigentlich ist es ganz leicht, die irritierende Weltlage mal einen Moment lang zu verdrängen. Man braucht nur eine neue Schreckensmeldung. So wie in den 1990er Jahren der grausige Gefrierbrand durch die Tiefkühlbeutelwerbung geisterte, bewegt in diesen Tagen eine biblische Plage die Gemüter: Der apokalyptische Blütenstaub. Wenigstens steckt da keine Verschwörung dahinter und kein Aggressor, sondern die gute alte Mutter Natur. Und angeblich der Fichtenwald, so genau kenne ich mich da auch nicht aus mit dem gelben Pulver.
Wenn wir schon beim Pulver sind: Jahrelang habe ich geschwiegen zur Plage der Pulverisierung. Im Sprachgebrauch wurde kein Rekord mehr gebrochen, Bemühungen und Strategien nicht mehr zunichte gemacht – alles wurde nur noch inflationär pulverisiert. Kaum ist auch diese Floskel pulverisiert, taucht mit Macht eine neue auf: Das Narrativ.
Laut Duden bedeutet das Substantiv eine "(verbindende) sinnstiftende Erzählung, Geschichte" und das Adjektiv "erzählend, in erzählender Form darstellend". Schon 2016 schrieb die WELT: "Hinz und Kunz schwafeln heutzutage vom Narrativ". Spätestens seit dem Überfall auf die Ukraine ist das Modewort omnipräsent. Dem Putins Wladimir sein Narrativ vom russischen Reich ist grundfalsch (früher sagte man umgangssprachlich, wenn einer Mist verbreitete, der erzählt die Story vom wilden Gaul), dafür brauche Europa dringend ein neues.
Nachdem das irritierende Wort ordentlich eingeführt ist, könnte ich es auch öfter mal verwenden. Wir pflegen im wochenblatt das Narrativ der guten fränkischen Grillbratwurst und ganz zurecht auch das Narrativ der ehrenhaften ehrenamtlichen Feuerwehrleute. Aber eigentlich steht mir der Sinn eher nach einer Narretei, nach "übermütigem Tun".
Ihr Gloss’n Hans
Autor:Gloss'n Hans aus Eckental |
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